Prozessbeobachtung Verfahren gegen Dr. Alp Ayan, Psychiater in Izmir

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir möchten auf unsere Dokumentation der Prozessbeobachtung des Verfahren gegen Dr. Alp Ayan, Psychiater im Behandlungszentrum der türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV) in Izmir, aufmerksam machen. Den Bericht können Sie hier herunterladen:
prozessbeobachtung_alp_ayan-30-12-2002
Den vollen Bericht können Sie auch direkt hier lesen:

Prozessbeobachtung des Verfahrens gegen Dr. Alp Ayan, Psychiater im Behandlungszentrum Izmir der türkischen Menschenrechtsstiftung (TIHV)  am 30.12.2002
Die Verhandlung gegen Dr. Alp Ayan vor dem Strafgerichtshof in Izmir wurde nach 15 Minuten vertagt auf den 24.4.03 um 9.50 Uhr mit der Begründung, dass der Richter eine falsche Akte über eine weitere Klage gegen Dr. Ayan zu Artikel 159 angefordert habe und dass eine weitere Angeklagte zur Verhandlung nicht erschienen sei. Aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Schweiz und Schweden waren insgesamt 17 Prozessbeobachter angereist (siehe Pressemitteilung der TIHV).
 
Bei der anschließenden Pressekonferenz gab Yavuz Önen (Vorsitzender der Menschenrechtsstiftung) seiner Enttäuschung Ausdruck. Er hatte erwartet, dass der Prozess mit diesem Termin zu Ende gehen würde, auch als ein Zeichen der versprochenen Schritte zur Demokratisierung und Pressefreiheit. Er könne zwar verstehen, dass der Richter vorsichtig vorgeht, weil er sich erst in die Materie einarbeiten musste, würde aber trotzdem etwas mehr Mut erwarten. Auf der anderen Seite sollte sich der Richter aber auch klar sein, dass der Prozess von der Weltöffentlichkeit beobachtet wird und dass er ruhig ein bisschen mutiger sein könne. Die erneute Vertagung werde sicherlich die internationale Unterstützung nicht verringern, und es sei noch ein weiter Weg für die Türkei in die EU.
 
Torben Lund, Europaparlamentarier aus Dänemark gab auch seiner Enttäuschung Ausdruck. Auch schon als dänischer Minister habe er sich um Menschenrechte gekümmert. Er habe im Herbst wegen des Prozesses mit Verheugen gesprochen der ihn in einem Schreiben versicherte: “Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Situation in der Türkei genau beobachten einschließlich des Prozesses gegen Alp Ayan.” Und es sind solche Verfahren wie das gegen Alp Ayan, die mit ein Maßstab sein werden für die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union. Alle Verfahren mit dem Artikel 159 sollten eingestellt werden, da dieser Strafgesetzartikel sonst nirgendwo in Europa existiert.
Er kritisierte auch den Umgang des Richters mit dem Angeklagten und versicherte weitere Unterstützung für den Termin am 24.4. 2003.
 
Metin Bakkalci, Vizepräsident der Türkischen Ärztekammer und Koordinator der Behandlungszentren der TIHV, ging auf die Begründung des Richters für die Vertagung ein. Dr. Ayan war in einem anderen Verfahren wegen 159 Strafgesetzbuch freigesprochen worden. Bei der letzten Verhandlung (2.10.2002) hatte Dr. Ayan dem Richter das Aktenzeichen dieses Prozesses angegeben, das Gericht hatte eine falsche Akte angefordert. Hierzu wäre allerdings zu bemerken, dass zwischen dem Richter und der Akte ein Stockwerk läge (2. und 3. Stock). Die Akte sei auch laut Aussage des Richters bereits vor einigen Monaten angefordert worden. Man müsse sich fragen, ob die Verwechslung gewollt sei oder wirklich keine Zeit zur Durchsicht der Akte bestanden habe. Bei allen Verfahren, wo Militär involviert ist, wird besonders sorgfältig gearbeitet und meistens sei auch Zivilpolizei vor dem Gerichtssaal präsent, wie auch in diesem Prozess. Die weitere Begründung war, dass eine weitere Angeklagte bisher noch keine Aussage gemacht habe, weil sie noch zu keinem Termin gekommen sei. Sie wohne außerhalb Izmirs. Dieser Umstand sei jedoch weniger ausschlaggebend gewesen als die falsche Akte.
 
Anschließend an die Pressekonferenz diskutierten alle Teilnehmer in den Räumen der Menschenrechtsstiftung über die Situation der Stiftung und die allgemeine politische Situation in der Türkei.
 
Yavuz Önen sagte, die neue Regierung fühle sich der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Er wurde als Vertreter der Stiftung zum ersten Mal seit Bestehen der Stiftung anlässlich des 10. Dezember eingeladen, vor dem Parlament zum Universellen Tag der Menschenrechte zu sprechen. Der neue Menschenrechtsminister, Ertugrul Yalcinbayir, hat die Stiftung besucht und dabei auf die Wichtigkeit der Arbeit der Stiftung für die Türkei hingewiesen. Allerdings blieben die Gesetzesänderungen zur Demokratisierung bisher hauptsächlich auf das Parlament und die Politiker beschränkt. Die Umsetzung der Gesetze sei nicht transparent und verliefe auch sehr langsam. In der Zivilgesellschaft sei davon noch nichts zu spüren, und die Politiker versteckten sich auch immer gerne hinter den Gesetzen. Man könne daher nicht von einer wirklichen Veränderung sprechen, besonders angesichts der vielen Verfahren wie auch gegen Dr. Ayan. Die AKP konzentriere sich hauptsächlich auf die Veränderung der Gesetze, die ihnen nütze (Beispiel Erdogan). Auch der neue Justizminister unterstütze weiterhin die F-Typ Gefängnisse und behauptet, dass nur Terroristen dagegen protestieren. Auch sei festzustellen, dass Verfahren gegen Polizisten und Soldaten, die der Folter angeklagt sind, weiter verschleppt werden, um Straffreiheit zu erreichen.
Erdogan habe bei seinem Besuch in Russland auf die Frage nach dem kurdischen Problem geantwortet: “Es gibt kein kurdisches Problem!
Der Verteidigungsminister, nach der Rolle des Nationalen Sicherheitsrates befragt, sagte, die Türken seien geborene Soldaten und die Türkei somit auch eine Militärgesellschaft. Yavuz Önen machte dem Menschenrechtsminister deutlich, dass die Menschenrechtsstiftung diese Antwort falsch und schädlich finde.
 
Alp Ayan wies darauf hin, dass es für ausländische Besucher immer schwierig sei, die Macht des Staates im Staat (das Militär) zu verstehen. Das Militär sei jedoch die wahre Macht und benutze jede Regierung zur Durchführung seiner Pläne.
 
Dazu drei Beispiele aus der Vergangenheit, wo die jeweiligen Regierenden gezwungen waren, gegen ihre Überzeugung zu handeln:
 

  1. Als Erbakan und seine Refah Partei an der Regierung waren, wurde der Vertrag mit Israel unterschrieben. Das war gegen seine Überzeugung, aber er hatte keine Wahl.
  2. Mesut Yilmaz versprach, die mafiösen Strukturen zu zerstören, aber während seiner Regierung wurden die Mafiosi aus den Gefängnissen entlassen.
  3. Die MHP konnte trotz Regierungsbeteiligung die Todesstrafe für Öcalan nicht durchsetzen.

 
Metin Bakkalci sprach verschiedene Fälle an, wo keine Gesetzesänderungen notwendig wären, weil sie nach bestehendem türkischen Recht sofort bearbeitet werden könnten und in denen die TIHV selbst aktiv ist:
 

  • Aus dem Behandlungszentrum in Diyarbakir beschlagnahmte die Polizei 356 Patientenakten, in denen Foltererfahrungen beschrieben werden. Da Folter strafbar ist, wäre es jetzt die Pflicht des Staates, die Folterer zu verfolgen. Das ist bisher nicht geschehen, trotz wiederholter Forderungen der TIHV.
  • Dr. Sebnem Korur Fincanci, ehemalige Leiterin des Gerichtsmedizinischem Instituts in Istanbul, wurde suspendiert, weil sie nach Untersuchung von Häftlingen in ihren medizinischen Berichten Folterspuren dokumentiert hatte. TIHV fordert ihre Rehabilitation. Auch das könnte sofort geschehen, wenn die Regierung wirklich wollte.
  • Emin Yüksel, ein Arzt aus dem Behandlungszentrum in Diyarbakir, wurde strafversetzt (verbannt). Auch da wäre es ein sehr einfacher administrativer Akt, ihm wieder die Arbeit im Behandlungszentrum zu ermöglichen.
  • Das gleiche gilt für Dr. Mehmet Antmen, der aus dem Behandlungszentrum in Adana strafversetzt wurde und nur unter sehr erschwerten Bedingungen arbeiten kann.
  • Sezgin Tanrikulu, Leiter des Behandlungszentrums in Diyarbakir ist wegen einer Rede am Menschenrechtstag 2001 in Diyarbakir angeklagt. Die erste Verhandlung wird am 30.1.03 in Diyarbakir stattfinden.

 
Die internationalen Prozessbeobachter und andere Unterstützer werden gebeten, die türkische Menschenrechtsstiftung auch in ihren Bemühungen in diesen fünf konkreten Fällen zu unterstützen. Es ist auch immer hilfreich, Politikern konkrete Fälle zu geben als auf die allgemeine Menschenrechts- situation in der Türkei einzugehen. Außer bestehenden Kontakten zu Politikern in Deutschland bitte die folgenden Politiker in Brüssel ansprechen:

  1. EU Parlamentarier
  1. Günter Verheugen, Mitglied der Europäischen Kommisssion, 1049 Brüssel. Tel. 0032 2 298 11 00, Fax 298 11 99, Verheugen@cec.eu.int
  1. Allessandro Lusignano, Turkey Team, European Commission, 1049 Brüssel, Lusignano@cec.eu.int

Berlin, den 4.2. 2003
Britta Jenkins
Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin