Sehr geehrte Damen und Herren,
hier können Sie den beitrag “Kein Schutz für Kinder” über die UNO – Konvention über die Rechte des Kindes von Dr. Ulrike Heckl als Präsidiumsbeauftragte des BDP’s für Menschenrechtsfragen aus dem Jahr 1999 herunterladen:
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Hier können Sie den vollständigen Text online lesen:
Kein Schutz für Kinder
Im vergangen Jahr wurde die „UNO – Konvention über die Rechte des Kindes“ 10 Jahre alt (sieh dazu auch den Artikel „Zehn Jahre Kinderrechtskonvention. Kinderpolitik auf dem Prüfstand“ in Report Psychologie 1 / 99). Als zentrales völkerrechtliches Dokument beschreibt die Konvention alle wesentlichen Voraussetzungen, die Kinder und Jugendliche für ein Leben und Heranwachsen in Würde benötigen. Hier liegt zum ersten Mal ein Abkommen vor, das die speziellen Rechte der Kinder erfaßt und gesetzliche Mindeststandards zum Schutz dieser Rechte festlegt. Diese Konvention ist der einzige internationale Vertrag, der sowohl die bürgerlichen und politischen, als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte garantiert. Bis auf Somalia und die USA haben das Übereinkommen vom 5. Dezember 1989 alle anderen 192 Länder ratifiziert. Weltweit liegt jedoch die Umsetzung der Kinderrechte massiv im Argen.
Kinder werden in vielen Ländern systematisch Grundrechte verweigert. Neben wichtigen Rechten, wie das Recht auf Erziehung und Ausbildung, auf Bewegungsfreiheit und auf Schutz vor Ausbeutung, vor Diskriminierung und vor bewaffneten Auseinandersetzungen1, benennt die Konvention explizit auch den Schutz vor Folter. Eine Tatsache ist, daß auch Kinder und Jugendliche vor gewalttätigen Übergriffen seitens staatlicher Organe nicht geschützt sind. Folter und Mißhandlungen in Polizeigewahrsam, unmenschliche Bedingungen in Gefängnissen, keine oder unfaire Gerichtsverhandlungen sind die Realität in vielen Ländern. Dieser Tatbestand verschwindet häufig aus dem Blickfeld angesichts der Ängste, die in den Medien vor der Zunahme von Gewaltverbrechen, verübt durch Kinder und Jugendliche, geschürt werden, einhergehend mit einem Ruf nach härteren Strafen. Häufig liegen jedoch die Gründe, weshalb Kinder und Jugendliche mit dem Gesetz in Konflikt geraten, in Armut und Benachteiligung.
Kinder, die gezwungen sind, auf der Straße zu leben, sind in besonderem Ausmaß willkürlichen Verhaftungen und Mißhandlungen ausgesetzt. Um zu überleben, sind viele von ihnen zum Betteln, zur Kleinkriminalität oder zur Prostitution gezwungen. Die meisten Kinder, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, tun dies aufgrund geringfügiger, gewaltfreier Verbrechen und in einigen Fällen ist ihr einziges „Verbrechen“, daß sie obdachlos sind. Einige von ihnen werden verhaftet, weil es Gesetze gibt, die Verelendung, Nichtseßhaftigkeit und Betteln zu kriminellen Handlungen erklärt. Faktoren wie Armut, ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht verschärfen noch die Wehrlosigkeit der Kinder gegenüber Übergriffen durch die Behörden.
In der Türkei werden Kinder und Jugendliche oft nach dem Anti – Terror – Gesetz festgenommen, mit dem vorgeben wird, die politische Gewalt im Land bekämpfen zu wollen. Werden sie verdächtigt, einer illegalen Organisation anzugehören oder sie zu unterstützen, dann treten jegliche Schutzmechanismen außer Kraft. Das Behandlungszentrum für Folteropfer der Türkischen Menschenrechtsstiftung bestätigt immer wieder massive Mißhandlungen bei Kindern und Jugendlichen nach ihrer Inhaftierung. Die Täter scheren sich wenig um das Alter der Opfer. Auf türkischen Polizeistationen wird systematisch gefoltert, ungeachtet türkischer und völkerrechtlicher Bestimmungen, die dies verbieten. Amnesty international liegen Berichte vor, aus denen hervor geht, daß schon Kinder im Alter von 12 Jahren Folter wie Elektroschocks das Abspritzen mit kaltem Wasser und Schläge erleiden müssen. Auch sexuelle Übergriffe, Androhung von Vergewaltigung oder Aufforderungen, sich nackt auszuziehen,wurde von erst 14-jährigen Mädchen berichtet. Eine Anklage gegen die Peiniger, sofern sie namentlich überhaupt bekannt sind, wird in der Regel nicht erhoben. Auch die Drohung den Kindern und Jugendlichen gegenüber, sie ‚verschwinden‘ zu lassen, wird als Druckmittel bei Verhören eingesetzt. Daß das keine leeren Drohungen sind, zeigt das Schicksal dreier jugendlicher Schafhirten, die im November 1995 während einer Razzia nach einem PKK – Attentat auf zwei Lehrer und einen Bauunternehmer festgenommen worden waren. Davut und Nedim im Alter von 12 Jahren und Seyhan mit 13 Jahren sind seither nicht mehr gesehen worden.
Kinder und Jugendliche werden gefoltert und mißhandelt, um Geständnisse zu erpressen. Sie werden ohne Anklage in Haft genommen, weil ihre Väter, wie z.B. im Südlibanon, wegen politischen Aktivitäten gesucht werden. Kürzlich wurde bekannt, daß das iranische Militär drei Kinder und ihre Mutter als Geiseln festhält, um den Vater der Kinder zu einer Rückkehr in den Iran zu zwingen, nachdem er aus politischen Gründen das Land verlassen hatte. Wenn Kinder oder Jugendliche festgenommen und inhaftiert werden, sollte sichergestellt sein, daß alle anderen Möglichkeiten des Strafrechts ausgeschöpft worden sind.
Viele Kinder in Haft erhalten nicht einmal einen minimalen Schutz. So werden sie häufig ohne Anklage oder Gerichtsverfahren, ohne Zugang zu einem Anwalt oder zu ihrer Familie, inhaftiert. In vielen Ländern werden Kinder tage- oder auch monatelang ohne Anklage und Prozeß gefangengehalten. Nicht selten werden sie zusammen mit erwachsenen Kriminellen eingekerkert. Unter solchen Bedingungen wächst die Gefahr der Mißhandlungen und des körperlichen Mißbrauchs erheblich. So geht zur Zeit amnesty international in Venezuela den Berichten von Gerichtsmedizinern nach, denen zu entnehmen ist, daß die meisten inhaftierten Kinder Zeichen von erst kürzlich erfolgter Folter bis hin zu Knochenbrüchen aufweisen. Insbesondere für Mädchen sind die Haftbedingungen vieler Orts willkürlich oder improvisiert.
Da Mädchen mit nicht so häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten wie Jungen, gibt es für sie in vielen Staaten kaum besondere Haftanstalten. Konkret bedeutet das, daß sie oft auch mit Erwachsenen oder sogar mit Jungen zusammen eine Zelle teilen müssen und so einem erhöhten Risiko des sexuellen Mißbrauchs oder einer Vergewaltigung ausgesetzt sind.
Da es keine internationalen Vereinbarungen gibt, die eine Altersgrenze für Strafmündigkeit definieren, variiert diese von Land zu Land erheblich. So geschieht es immer wieder, daß Jugendliche nach dem Erwachsenen – Strafrecht angeklagt werden. Eine Mißachtung all der Bedingungen ist kein Phänomen, das nur in Entwicklungsländern auftritt. Auch in mindestens 35 US – Bundesstaaten können Minderjährige zu Haft in Erwachsenengefängnissen verurteilt werden. Im September 1998 waren dort mehr als 4000 Kinder und Jugendliche unter diesen Bedingungen inhaftiert.2 Da in den USA die Kinderrechtskonvention nicht rechtsverbindlich ist, sind Kinder und Jugendliche häufig Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Nicht nur, daß wachsende soziale Spannungen in manchen Gemeinden zu einer Zunahme von Jugendkriminalität führt, sondern bereits geringfügige Vergehen, wie Schule – Schwänzen, Alkoholbesitz, Graffiti – Sprühen oder kleine Diebstähle, können sie ins Gefängnis bringen. Als Beispiel sei der 16-jährige Yazi Plentywounds erwähnt, der sich, nur weil er zwei Flaschen Bier gestohlen hatte, für zwei Jahre in ein staatliches Gefängnis für Erwachsene begeben mußte.
Ende 1998 befanden sich mehr als 4000 Kinder in Vollzugsanstalten für Erwachsene. Dies geschieht auf der Basis von Bundesgesetzen oder eigenen bundesstaatlichen Strafgesetzen und schließt sogar die Todesstrafe mit ein.
Das Verbot der Todesstrafe gegen jugendliche Verbrecher ist sowohl per Gesetz als auch in der Praxis weitgehendst akzeptiert. Die Kinderrechtskonvention und der Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbieten die Verhängung der Todesstrafe unmißverständlich für Verbrechen, die vor dem 18. Lebensjahr begangen wurden. Amnesty international dokumentierte in den 90er Jahren 18 Exekutionen jugendlicher Täter im Iran, Nigeria, Pakistan, Saudi -Arabien, dem Jemen und in den USA 3. 10 Exekutionen wurden alleine in den USA vollstreckt. Hierzu ist zu bemerken, daß die USA nicht die Kinderrechtskonvention, wohl aber den Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert haben. Zur Zeit sitzen 70 Inhaftierte in amerikanischen Todestrakten, die zur Tatzeit noch keine 18 Jahre alt waren. Viele von ihnen leiden unter Minderbegabung, waren sozial wie auch ökonomisch benachteiligt und in ihrer Kindheit physische und psychisch mißbraucht worden. Im April 1998 wurden in Texas Jospeh Jon Cannon und Robert Carter mit einer Giftinjektion hingerichtet. Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Tat gerade 17 Jahre alt gewesen.
In der Präambel der Kinderrechtskonvention steht, daß „das Kind wegen seiner mangelnden körperlichen und geistigen Reife besonderen Schutzes und besonderer Fürsorge, insbesondere eines angemessen rechtlichen Schutzes vor und nach der Geburt, bedarf“. Aber ein wirklicher Schutz vor Menschenrechtsverletzungen kann nur dann gewährleistet werden, wenn er von allen Staaten anerkannt und umgesetzt wird. Das ist bis heute nicht geschehen, obwohl mit der UNO – Konvention ein umfangreiches Instrument zur Umsetzung vorliegt.