Sehr geehrte Damen und Herren,
Hier können Sie den Beitrag “Psychosoziale Betreuung von Folteropfern in der Bundesrepublik” von Dr. Ulrike Heckl in ihrer Funktion als Menschenrechtsbeauftragte des BPP-Präsidiums herunterladen:
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Den vollständigen Text können Sie auch hier lesen:
Obwohl sie damit gegen die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (1948), der „Erklärung der Generalversammlung der UN über den Schutz vor Folter“ (1975) sowie der „Europäischen Konvention zur Verhinderung der Folter (1987) verstoßen, wird in mehr als Hundert Staaten (Jahresberichte von amnesty international) Folter als Instrument zum Verhör oder zur systematischen Unterdrückung angewandt. Die Mehrheit aller Betroffenen überlebt die Mißhandlungen; denn Folter wird nicht eingesetzt, um den Tod des Einzelnen herbeizuführen, auch wenn immer wieder Menschen unter der Folter qualvoll sterben. Ziel von Folter ist die Erniedrigung und die Vernichtung der Persönlichkeit; denn Menschen mit einer gebrochenen Persönlichkeit verlieren ihre Fähigkeit zum Widerstand.
Gelingt die Flucht – oft unter dramatischen Umständen – aus ihrem Heimatland, dann beginnt für sie die erniedrigende Prozedur des Asylgesuchs. In den „Lagern“ herrschen meist unerträgliche und menschenunwürdige Zustände, die die Erinnerungen an die Zeit der Gefangenschaft wieder wachrufen. Hinzu kommt die Anhörung vor der Asylbehörde. Hier steht die Glaubwürdigkeit der Asylsuchenden auf dem Prüfstand. Schon ein unbedeutender Widerspruch kann zur Ablehnung des Asylantrags führen. Inzwischen weiß man, daß insbesondere traumatisierte Menschen häufig unfähig sind, über ihre Mißhandlungen zu sprechen. Insofern bringt die Anhörungssituation diese Menschen in eine Wiederholungssituation der Verhöre und Inhaftierung durch Polizei und Militärs in ihren Heimatländern und die ständige Angst vor einer Abschiebung wirkt erneut als Traumatisierung.
Auch wenn die physischen Verletzungen irgendwann geheilt sind, die psychischen Verletzungen dauern an und bleiben ohne fremde Hilfe und Behandlung zeitlebens erhalten. Traumatisierte Menschen können unter starken Depressionen, Ängsten und Alpträumen leiden. Weiterhin gehören innere Unruhe, Wahnvorstellungen, Ohnmachtsgefühle, Apathie und Gedächtsschwund zu den Merkmalen, die bei den Opfern zu beobachten sind.
Inzwischen haben sich in einigen Städten der Bundesrepublik Psychosoziale Beratungszentren für Flüchtlinge – und Behandlungszentren für Folteropfer gegründet.. Hier leisten fachlich hochqualifizierte ÄrztInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, PhysiotherapeutInnen und DolmetscherInnen gemeinsam eine fundierte Betreuung der Flüchtlinge.
Aus den hier gewonnen umfangreichen Erfahrungen lassen sich Rückschlüsse über Veränderungen oder eine Zunahme von körperlichen und psychischen Foltermethoden in den jeweiligen Herkunftsländern der Flüchtlinge schließen und regen schließlich auch dazu an, Konzepte zur Behandlung von Folterfolgen zu erarbeiten und auszutauschen . Darüber hinaus fließen diese gewonnenen Erkenntnisse gezielt in Fortbildungen für interessierte KollegInnen ein.
Im folgenden möchte ich eine kurze Übersicht über die Zentren, die mir bekannt sind, geben:
Berlin (Behandlungszentrum für Folteropfer, Klinikum Westend): poliklinische Einrichtung zur medizinischen und psychotherapeutisch – sozialen Behandlung von extremtraumatisierten Opfern staatlich organisierter Gewalt. Der Aufgabenbereich erstreckt sich über allgemeinmedizinische und psychiatrische Diagnostik und Therapie, Gutachten im Auftrag von Gerichten und Versorgungsämtern, Sozialtherapie, Physiotherapie und psychotherapeutische Einzel- Paar-, Familien- und Gruppentherapien (tiefenpsychologischer und klientenzentrierter Ansatz, kognitive Verhaltenstherapie, Psychodrama, Gestalttherapie, Familientherapie, Hypnotherapie, Kunsttherapie). Im Bereich der Forschung besteht eine Kooperation mit Hochschulen und darüberhinaus wird von den MitarbeiterInnen des Zentrums Supervision für Heilberufler, Dolmetscher und Institutionen angeboten.
Berlin („Xenion“): psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte, die extremtraumatisierenden Erfahrungen, wie politischem Terror, Folter und Krieg ausgesetzt waren. Angebote bestehen in psychologischer Beratung und Kriesenberatung, systemischer Einzeltherapie, Paar- und Familientherapie, Gruppenpsychotherapie, Psychodrama, in Fortbildungen zu Problemstellungen in der Flüchtlingsarbeit und im interkulturellen Arbeitsbereich, sowie in Hilfen bei Aufenthalts-, Arbeits- und sozialrechtlichen Problemen.
Bremen (PSZ „Refugio“): psychosoziales Zentrum, dessen Schwerpunkt in Krisenberatung und Beratung in den Flüchtlingsunterkünften liegt. Es wird Einzel – und Gruppentherapien für Folteropfer und Hilfen bei psychosomatischen Beschwerden angeboten, sowie speziell Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Außerdem werden Kontakte zu Ämtern, Ärzten und Therapeuten vermittelt.
Düsseldorf (PSZ): psychosoziales Zentrum, in dem Flüchtlinge bei Problemen, die durch die Haft-, Lager- und Foltererfahrungen wie auch die Exilsituation hervorgerufen sind, beraten werden. In der beraterisch – therapeutischen Arbeit werden sozialkulturelle, psychologische, medizinische, flüchtlings – und migrationsspezifische Aspekte integriert. Im psychotherapeutischen Bereich sind die TherapeutInnen klientenzentriert, verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch, familien- und gestaltherapeutisch orientierte. Außerdem wird mit Psychodrama, Kunsttherapien, Entspannungs- und Imaginationsverfahren gearbeitet. Darüberhinaus werden Supervision für andere Einrichtungen und Workshops angeboten. In Düsseldorf besteht eine enge Zusammenarbeit mit Ärzten, Therapeuten, Kliniken und Anwälten aus der Region.
Freiburg i. Br. (Psychosoziale Beratungsstelle für Migranten und ihre Familien): die Beratungsstelle wurde als ergänzende Einrichtung zu den dezentralen Diensten in der Flüchtlingssozialarbeit
konstituiert und ist deshalb eine übergeordnete Anlaufstelle für verschiedene Migrationsgruppen. Im Mittelpunkt steht die „Rehabilitation von Folteropfern“ in Form von psychologischer Beratung, psychotherapeutischer Behandlung, die auch das Angebot von Kunsttherapie und Konzentrativer Bewegungstherapie sowie Sozialberatung der MigrantInnen beinhaltet. Die Beratungsstelle steht für Anfragen zu rechtlichen Fragestellungen, Informationen zu bestimmten Fluchtgruppen oder ethnischen Gruppen, zu Herkunftsländern, Rück- und Weiterwanderungsmöglichkeiten und zu Hilfsmöglichkeiten in verschiedenen Lebenssituationen, Sprachkursen und zu spezifischen Einrichtungen und Beratungsststellen zur Verfügung.
Frankfurt / M. (PSZ): psychosoziales Zentrum mit Schwerpunkt auf Beratung und Therapie für traumatisierte Flüchtlinge und Opfer organisierter Gewalt mit einem integrativen Ansatz, der neben verschiedenen therapeutischen Richtungen speziell interkulturelle Beratung und Therapie beinhaltet. Über die Kurz- und Langzeittherapien für Einzelne, Paare und Familien bieten die Frankfurter flucht- und exilbezogene Selbsterfahrungsgruppen an. Konzeptentwicklung für Beratung und Therapie von Flüchtlingen, Erstellen von Gutachten, Vorträge, Seminare, Workshops in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Institutionen und praxisbezogene Begleitung und Fortbildung gehören ebenfalls zum Aufgabenbereich.
Homburg / Saar: an den Universitätskliniken des Saarlandes soll demnächst eine Station zur Behandlung schwer traumatisierter Patienten, insbesondere von Folteropfern, eingerichtet werden. Neben der spezifischen Psychotherapie für Extremtraumatisierte soll die Behandlung Kunst- und Musiktherapie, Körpertherapie und Physiotherapie umfassen. Hinsichtlich der körperlichen Folgeschäden wird eine enge Kooperation mit den organmedizinischen Kliniken der Universität bestehen.
Köln (PSZ): die Unterstützung umfaßt psychotherapeutische, psychiatrische und psychosomatische Diagnostik und psychoanalytisch – systemisch orientierte Einzel- und Familientherapie, psychotherapeutische Kurzzeitverfahren, Kunst- Tanz- und Bewegungstherapie, medizinische Begutachtungen, Sozialberatung und rechtliche Unterstützung. Im Programm stehen weiterhin Frauengruppen und Deutschkurse. Von den MitarbeiterInnen wird für KollegInnen und Ehrenamtliche fachliche Beratung, Supervision und Fortbildungen angeboten.
München („Refugio“): Beratungs- und Behandlungszentrum für traumatisierte und gefolterte Flüchtlinge sowie Flüchtlinge, die sich in psychischen Krisen befinden. Eine enge Zusammenarbeit hat sich mit Ärzten, Sozialdiensten, Anwälten und Gerichten etabliert.
Saarbrücken (PSZ): Schwerpunkt liegt in der Asylverfahrensrechtlichen und ausländerrechtlichen Einzelfallberatung in Zusammenarbeit mit den Rechtsberaternetz der Diakonie, Beratung von Flüchtlingskindern (schulische und berufliche Integration, Hilfestellung bei familiären Konflikten sowie bei Problemen im sozialen Umfeld).Darüberhinaus werden Sprach- und Orientierungskurse angeboten
Ulm (Behandlungszentrum für Folteropfer): Hauptaufgabenbereich liegt in der Erstellung von ärztlichen Gutachten zur erlittenen Folter und deren gesundheitlichen Folgen als Grundlage für Asylverfahren. Die Besonderheit im Ulm, ist, daß ein flexibles Netzwerk aus Sozialdiensten, niedergelassenen Therapeuten und Ärzten aufgebaut werden konnte, das auch die Bereiche der Körper-, Kunst-, Musik-, Gestalt- und Gesprächspsychotherapie umfaßt. Im Behandlungszentrum finden Supervision, Fortbildungen und Familienkonferenzen statt. Außerdem besteht eine Zusammenarbeit mit der Universität Ulm (die Informationen wurden aus ai – Journal 9 / 1996 und Tätigkeitsberichten der Zentren entnommen).
Die Übersicht hat keine Anspruch auf Vollständigkeit, da sich immer wieder Initiativen gründen, deren Aktivitäten überregional erst verzögert bekannt werden. Auch in Gera, Greifswald und Magdeburg wurden vor einiger Zeit psychosoziale Zentren für Flüchtlinge gegründet, zu denen ich aber leider keine näheren Informationen habe.
Die Teams der einzelnen Zentren setzen sich häufig aus Fachkräften zusammen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Träger der genannten Einrichtungen sind i.d.R. kirchliche Verbände und Wohlfahrtsverbände, im Einzelfall wie in Freiburg, werden auch Gelder aus EU – Mitteln bereitgestellt. Insgesamt sind die Zentren jedoch vermehrt durch empfindliche finanzielle Kürzungen getroffen, die die inhaltliche Arbeit nicht nur erschweren, sondern teilweise auch in Frage stellen, da Mitarbeiterstellen nicht weiter finanziert werden können.
Die meisten der genannten Zentren sind im ai – Arbeitskreis „Medizin / Psychologie / Pflege“ eingebunden. Besonders hilfreich und effektiv haben regionale amnesty – Gruppen dazu beigetragen, die medizinisch – psychologische, forensische und psychiatrische Gutachtertätigkeit in den Behandlungseinrichtungen mit Hintergrundinformationen über die betroffenen Länder und Ethnien zu versorgen.