Hier können Sie den Artikel “Abschiebedrohung – für die Flüchtlinge eine Traumatisierung ohne Ende” von Dr. Ulrike Heckl aus dem Jahr 1998 herunterladen:
1998 trauma und abschiebung_heckl
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Seit dem „Asylkompromiss“ von 1993 ist die Zahl der in der Bundesrepublik um Asyl Suchenden drastisch gesunken. Die Einreise ist nur noch auf dem Landweg illegal über Schlepper möglich. Kommen Flüchtlinge nämlich über einen sogenannten sicheren Drittstaat in die BRD, können die Grenzschutzbeamte sie sofort und ohne jedes Verfahren zurückweisen.
Bei einer Einreise per Flugzeug gilt die „Flughafenregelung“. Die Flüchtlinge werden bereits im Transitbereich des Flughafengeländes abgefangen und in einer Flüchtlingsunterkunft, genannt
„Transfiktion“, untergebracht. „Das erste, was sie begreifen müssen, ist, daß sie nicht in Deutschland sind (…). Die Flucht ist keineswegs zu Ende, sondern höchstens die touristische Komponente“, so der Leiter des Frankfurter Flughafensozialdienstes (FR v. 12.1.98) In
einem verkürzten Asylverfahren – es soll nach drei Wochen beendet sein – wird über ihr Schicksal entschieden. Diese rechtsstaatlich fragwürdigen Verfahren enden meist mit einer pauschalen Ablehnung des Asylantrags und in Konsequenz mit einer sofortigen Abschiebung der Flüchtlinge in einen sogenannten sicheren Drittstaat oder in ihr Herkunftsland. Fehlen Papiere oder das Herkunftsland weigert sich, die oder den Betroffene/n zurückzunehmen, dann kann der Aufenthalt in diesem umfunktionierten gefängnisartigen Frachtgebäude Wochen
dauern. Dieses Vorgehen bedeutet, daß die Flüchtlinge auf diese Weise kein richtiges Asylverfahren erhalten und zum anderen die Gefahr einer Kettenabschiebung besteht, daß nämlich jedes Land sie wieder in das vorherige sogenannte sichere Drittland zurückschickt.
Es findet so keine Überprüfung des Einzelfalls mehr statt und nicht wenige Flüchtlinge landen nach einer Odyssee am Ende wieder dort, von wo aus sie – oft wegen Folter und Verfolgung – geflohen sind.
Die meisten Menschen, die hier um Asyl bitten, kommen aus Bürgerkriegsländern als Einzelpersonen oder mit ihren Familien. In den ersten Tagen nach der Ankunft findet ein Erstinterview
beim Bundesamt für die Anerkennung ausländische Flüchtlinge statt. Von den Flüchtlingen wird erwartet, daß sie ihr Verfolgungsschicksal detailliert und widerspruchsfrei schildern.
Aufgrund jedoch ihrer folter- und traumabedingten Schädigungen sind ein Großteil dieser Personen nicht in der Lage, sofort nach ihrer Flucht, zu diesem Zeitpunkt und in diesem Rahmen über ihre Foltererlebnisse zu sprechen. Sie sind nicht fähig ihre erlittenen Mißhandlungen verfahrensgerecht adäquat darzulegen und ihr Asylanliegen vorzubringen Auch Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen im Rahmen eines posttraumatischen Belastungssyndroms oder als Folge von Hirnverletzungen nach Schlägen können verhindern, daß diese Menschen präzise Angaben machen können. Die Anhörung beim Bundesamt kann bei den
Überlebenden von Folter alte Erinnerungen an Verhöre in ihrem Heimatland reaktivieren. In vielen Fällen verbietet Scham, erlittenen Mißhandlungen preiszugeben. Direkte Befragungen bedeuten immer eine Konfrontation, da die erlebte erniedrigende Behandlung wiedererlebt wird mit all ihren psychischen Auswirkungen. Um sich vor so einer Reizüberflutung zu schützen, reagiert ein großer Teil der Flüchtlinge mit Verdrängung und Vermeidung. Und darüber hinaus besteht zusätzlich häufig auch die Furcht, daß die Aussagen dem Geheimdienst im Heimatland zugänglich gemacht werden könnten.
Für die Asylverhandlung bedeutet eine nicht stringente Darstellung eines Verfolgungsschicksals, daß die Glaubwürdigkeit der betreffenden Person infrage gestellt ist – eine nicht mehr
zu korrigierende Konsequenz. Nicht selten wird der Asylantrag bereits bei der Erstanhörung als „unglaubwürdig“ oder „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt und dem oder der Asylsuchenden
„grobes Verschulden“ bezüglich seiner oder ihrer ungenauen Darstellung ihrer Verfolgungsgeschichte zur Last gelegt.
Die meisten Asylsuchenden haben keine Vorstellung davon, was bei der Erstanhörung von ihnen erwartet wird, d.h. welche Punkte in ihrer Verfolgungsbiographie asylrelevant sind. .
Speziell viele Flüchtlingsfrauen haben vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Herkunft nie gelernt über sich zu sprechen.
Inzwischen weiß man, daß ein detailliertes Sprechen über Foltererfahrungen und Mißhandlungen und das Zulassen und Äußern der dabei empfundenen Gefühle maßgeblich von verschiedenen Faktoren abhängig ist: Neben einer angstfreien Atmosphäre, aber auch – wie schon oben erwähnt – von der Fähigkeit, sich an Einzelheiten überhaupt zu erinnern, von dem
kulturellen Hintergrund, insbesondere bezüglich Vergewaltigungen und sexueller Mißhandlungen; vom Geschlecht der AnhörerInnen oder RichterInnen wie auch der Dolmetscherperson.
Trotz gleicher Nationalität gibt es in vielen Herkunftsländern rivalisierende politische Gruppierungen, Familien- oder Stammesfehden, die sich negativ auf die Aussagebereitschaft
des Flüchtlings auswirken können. Ganz abgesehen davon, können Übersetzungen immer Unsicherheit und gegebenenfalls Mißtrauen mit sich bringen.
Die Zeit des Wartens während des Asylverfahrens ist für die meisten Asylsuchenden zermürbend. Durch die Folter ist ihr Selbstwertgefühl zerstört. Gefühlsschwankungen mit Depressionen
und Wutausbrüchen führen zu Konflikten in den Unterkünften. Die Aussichtslosigkeit ihrer Lage weckt wiederum traumatische Erinnerungen. In diesen Situationen kann es zu akuten
reaktiven Psychosen kommen und nicht selten auch zu Suizidversuchen. Erst zu diesem Zeitpunkt wird i.d.R. der Kontakt zu einer Beratungsstelle oder einem Behandlungszentrum
geknüpft und im Rahmen der dortigen geschützten Atmosphäre kann es den Betroffen gelingen, die Foltererfahrungen preiszugeben. Für den Verlauf des Asylverfahrens hat diese „verspätete
Mitteilung“ fatale Folgen. Nicht selten wird ihnen vorgeworfen, „eine ausgedachte Geschichte“ konstruiert zu haben. Die in einen Asylfolgeantrag eingebrachten gutachterlichen Stellungnahmen seitens der Behandlungszentren zu den körperlichen und seelischen Folterschäden konnten bisher nur in den seltensten Fällen ein positives Ergebnis mit Asylanerkennung bewirken.
Bei Unterstellung, daß ein Flüchtling sich einer Abschiebung entziehen könnte, kann über eine Abschiebehaft von bis zu 18 Monaten verfügt werden. Sie beruht nicht auf einem Delikt
der inhaftierten Person, sondern alleine auf der obengenannten Befürchtung. Zu dem Repertoire der Abschiebepraxis gehören häufig zusätzliche repressive Maßnahmen, wie Knebelungen
oder Fesselungen. Speziell in Abschiebehaft ist die Suizidgefahr sehr groß. Die Tatsache, wie Straffällige inhaftiert zu sein, können die Flüchtlinge psychisch nur schwer verkraften.
Die erneute Unsicherheit über die eigenen Zukunft und die Angst vor dem, was sie in ihren Herkunftsländern bei einer Abschiebung erwartet, läßt die Flüchtlingen mit Hungerstreik reagieren,
Rasierklingen verschlucken, sich aufzuhängen oder sich die Pulsadern aufschneiden.
Seit der Änderung des Asylrechts steht für die AnhörerInnen die Rekonstruktion des Fluchtwegs viel mehr im Vordergrund als die konkreten Verfolgungsbiographien der AntragstellerInnen.
Die Anhörung erfolgt unter einem extrem zeitlichen Druck mit einer Fokussierung auf die aus Behördensicht entscheidungsrelevanten Fragen ohne Berücksichtigung der individuellen psychischen Situation der Befragten, d.h. mit wenig Respekt vor der Persönlichkeit
der Flüchtlinge. Ein angemessener Umgang mit Folterüberlebenden kann nicht in einem Verwaltungsakt gewährleistet werden. Es bedarf der Vermittlung grundlegender Kenntnisse in Gesprächsführung, sowie im Umgang mit seelischen Traumata und einer Sensibilisierung
für indirekte Andeutungen von Folter und Mißhandlungen. Hier können PsychologInnen als kompetente BeraterInnen für VertreterInnen derjenigen Berufsgruppen, die in einem Asylverfahren
involviert sind, einen ganz wichtigen Beitrag für einen menschlicheren und respektvolleren Umgang in einer ohnehin schon für die Flüchtlinge retraumatisierenden Situation leisten.
Dr. Ulrike Heckl